Frieden beginnt bei mir - Andreas Zumach im Interview

Shownotes

Die Jahreskampagne der Caritas 2024 widmet sich dem Thema „Frieden“. „Frieden beginnt bei mir“, so das Motto. Ist Frieden möglich? Was sind die politischen und/oder religiösen Dimensionen von Krieg und Frieden? Darüber spreche ich in dieser Folge mit dem Journalisten und Publizisten Andreas Zumach. Andreas Zumach war rund 30 Jahre Korrespondent der taz bei den Vereinten Nationen, zuvor hat er für Aktion Sühnezeichen - Friedensdienste als Referent gearbeitet. Im Oktober 1981 hat er die Friedensdemonstration im Bonner Hofgarten mit organisiert. Zudem war er Sprecher des Koordinationsausschusses der bundesweiten Friedensbewegung. Wenn sich also jemand mit dem Thema „Frieden“ auskennt, dann ist es mein heutiger Gast, Andreas Zumach.

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“Tach auch, der Pottcast der Caritas Dortmund. Tach auch und herzlich willkommen zu einer neuen Podcast Folge. Mein Name ist Henning Schreiber.

Die Jahreskampagne der Caritas 2024 widmet sich dem Thema Frieden. Frieden beginnt bei mir, so das Motto. Ist Frieden möglich?

Was sind die politischen und oder religiösen Dimensionen von Krieg oder Frieden? Darüber spreche ich in dieser Folge mit dem Journalisten und Publizisten Andreas Zumach. Andreas Zumach war rund 30 Jahre Korrespondent der Taz bei den Vereinten Nationen.

Zuvor hat er für die „Aktion Sühnezeichen Friedensdienste“ als Referent gearbeitet. Im Oktober 1981 hat er die Friedensdemonstration im Bonner Hofgarten mit organisiert. Außerdem war er Sprecher des Koordinationsausschusses der bundesweiten Friedensbewegung.

Wenn sich also jemand mit dem Thema Frieden auskennt, dann ist es mein heutiger Gast Andreas Zumach.

Henning Schreiber: Herr Zumach, der erste bekannte Krieg hat ja vermutlich vor 5.500 Jahren stattgefunden. Im heutigen syrisch-irakischen Grenzgebiet wurde die Stadt Hamukka zerstört.

Seitdem gibt es immer irgendwo Kriege. Bis heute. Können wir Menschen nicht in Frieden leben?

Andreas Zumach: Wir können das, wenn die Grundbedürfnisse aller Menschen so befriedigt wären, wie das zumindest bei uns in den reichen Staaten Nordeuropas und Nordamerikas der Fall ist. Also Essen, Trinken, saubere Toiletten, Gesundheitssystem, Dach über dem Kopf. Solange das nicht der Fall ist, gibt es immer wieder Auseinandersetzungen um Ressourcen, die eben viele Menschen nicht haben.

Henning Schreiber: Was sind denn sonst noch die Hauptursachen, warum Menschen nicht in Frieden leben können?

Andreas Zumach: Also ich bleibe dabei, dass Streit um Ressourcen, das kann Feuerholz gewesen sein, bebaubare landwirtschaftliche Fläche, bestimmte Rohstoffe, die zu Ende gehen oder knapper werden in einer bestimmten Region, immer die Hauptursache ist. Aber wir erleben, dass das dann überhöht wird, dass zum Beispiel behauptet wird, weil ich Muslim bin und du bist Christ, oder ich bin katholisch und du bist evangelisch, oder weil ich serbisch-orthodox bin, wie damals in Jugoslawien, und du bist Muslim, kann ich mit dir nicht mehr zusammenleben. Das ist aber eine Überhöhung.

Im Grunde ging es auch da immer um Ressourcenkonflikte, um die Frage, wer hat die höheren Kader in der Polizei, in der Armee, also Privilegien. Aber um davon abzulenken, hat man dann plötzlich gesagt, ich kann mit dir nicht mehr, weil du eine andere Religion hast. Und dann gibt es natürlich noch, ich sag mal, nationalistische Eitelkeiten.

Wenn also die Führung in Peking tatsächlich meint, Taiwan muss wieder heim ins Reich, dann sind das keine harten ökonomischen Interessen, sondern das ist eine Ideologie vom geeinten China, die sich möglicherweise im schlimmsten Fall durchsetzt, gegen alle besser verstandenen ökonomischen Interessen.

Henning Schreiber: Das heißt ja im Grunde genommen, dass Ideologien oder Religionen aber eigentlich immer nur vorgeschoben sind, oder?

Andreas Zumach: Ich halte Religion immer für vorgeschoben. Der amerikanische Präsident Bill Clinton hat auf dem Höhepunkt des Bosnienkrieges, jetzt sind wir in der ersten Hälfte der 90er Jahre des letzten Jahrhunderts, auf einer Pressekonferenz zu uns gesagt, das ist ein Religionskrieg, weil sich die Muslime und die katholischen und die orthodoxen Serben noch nie einig waren, da haben wir und auch meine berühmte Kollegin Christiane Annapur von CNN ihm deutlich widersprochen und haben ihm, glaube ich, klar gemacht, das stimmt nicht, das Problem ist, dass wenn Menschen in einer Situation leben, wo die ganzen Grundbedürfnisse nicht befriedigt sind, wo sie keine Perspektive haben auf ein besseres Leben, wo sie in vielen arabischen Staaten eine Diktatur über sich haben, die sich auch noch bereichert, dass dann in dem Fall islamistische Ideologen herkommen und sagen: Wenn ihr jetzt hier dem Islamismus verfallt und euch hier auch mit Gewalt wehrt, dann ist das ein Erfolgsweg. Das heißt, es wird ein Nährboden geschaffen, auf dem dann radikale extremistische religiöse Ideologien tatsächlich Unterstützung finden.

Das finden wir aber auch bei christlichen Fundamentalisten in den USA.

Henning Schreiber: Heißt das, der kleinste gemeinsame Nenner sozusagen bei Kriegsursachen ist letztendlich immer Neid?

Andreas Zumach: Der kleinste gemeinsame Nenner ist ja der, wenn Gerechtigkeit nicht herrscht. In der Bibel steht, Gerechtigkeit schafft Frieden. Wenn man den Satz umdreht und sagt, Ungerechtigkeit, solange sie existiert, ist ein Nährboden für Unfrieden, für Konflikte, die im schlimmsten Fall dann eben nicht mehr politisch deeskaliert und gelöst werden, sondern gewalttätig eskalieren zwischen einzelnen Menschen, zwischen Nationen, zwischen dann auch Angehörigen verschiedener Religionen, die meinen, dass die unterschiedliche Religion das eigentliche Problem sei, was aber nicht der Fall ist.

Wo wir gerade dann auch beim Thema Religionen sind. Alle Weltreligionen stellen doch den Frieden eigentlich als Ideal dar. Ich meine, Jesus sowieso sagt, dass die Christen in Frieden leben sollen.

Sie sollen ihren Nächsten lieben wie sich selbst. Das Wort Islam bedeutet ins Deutsche übersetzt so viel wie Frieden. Und auch viele Philosophen haben im Laufe der Jahrtausende, der Jahrhunderte die Frage gestellt, ob Kriege notwendig seien. Staatsutopisten wie zum Beispiel Sokrates oder Thomas Morus sprechen von Gewaltminderung durch Gesetzgebung und Menschenbildung. Von Erasmus von Rotterdam gibt es eine Anti-Kriegsschrift mit dem Titel „Die Klage des Friedens“. Es gibt also einen tiefsitzenden Wunsch nach Frieden. Und trotzdem gelingt es nicht.

Es gibt nicht nur den tiefsitzenden Wunsch. Und ich behaupte, die Menschen sind grundsätzlich friedensfähig. Trotz aller Gegenbeweise, die wir empirisch, nehmen wir nur die Zeit seit dem Zweiten Weltkrieg, wo wir eine Völkerrechtscharta haben, die zum ersten Mal sogar zwischenstaatliche Gewalt verbietet. Das ist ja ein riesiger Fortschritt in der Menschheitsgeschichte. Trotzdem hatten wir seitdem 272 innerstaatliche und zwischenstaatliche Konflikte. Aber ich bleibe dabei:

Die Ursache, und da muss man sich immer bemühen, die rauszufinden, ist immer, dass eine bestimmte Gruppierung in einem Land oder auch eine Gesamtbevölkerung eines Landes unzufrieden ist, aus handfesten Gründen. Und danach muss ich suchen und diese Gründe abstellen, um dann zu verhindern, dass es Krieg gibt. Insofern haben diese Philosophen, die sie zitiert haben, und auch die Religionen, alle recht.

Das Problem bei den Religionen ist natürlich, wir haben bestimmte Religionsführer. Ich denke mal jetzt aktuell an den Patriarchen der orthodoxen russischen Kirche, Kyrill. Das ist nun wirklich mit Verlaub ein 150-prozentiger, der diesen schlimmen Angriffskrieg Putin-Russlands gegen die Ukraine auch noch religiös, ideologisch unterfüttert und zu rechtfertigen versucht.

Henning Schreiber: Das heißt, letztendlich hat dann quasi jede Ideologie ihre eigene Vorstellung vom Frieden und deswegen ist ein Gesamtfrieden auch nicht möglich?

Andreas Zumach: Naja, also wir haben natürlich Phasen gehabt, in denen eine Religion eine Minderheitenreligion war. Das war etwa im Islam in den ersten hundert Jahren nach dem Entstehen so und tatsächlich bedrängt wurden von den Christen. Und dann stehen so bestimmte Sätze im Koran, die man natürlich immer wieder zitiert bekommt: „Ziehe dein Schwert und vernichte deine Feinde.“ Und dann wird behauptet, der Islam sei grundsätzlich nicht friedensfähig. Ich halte das für falsch.

Man könnte ähnliche Sätze auch im Alten Testament, im Christentum finden. Wir erleben im Moment einen indischen Premierminister, der auf eine ganz üble Weise den Hinduismus instrumentalisiert gegen Muslime. Das ist auch im Widerspruch zum Urcharakter des Hinduismus und auch des Buddhismus. Also das sind alles missbräuchliche Instrumentalisierung der Religion durch politische oder militärische Machthaber.

Henning Schreiber: Sie waren viele Jahre Korrespondent bei den Vereinten Nationen. Die UNO wurde ja ursprünglich auch mal gegründet, um Kriege zu verhindern. Aber irgendwie funktioniert auch das nicht mehr. Hat die UNO jemals funktioniert? Das ist natürlich die andere Frage. Aber hat die UNO noch eine Zukunft?

Andreas Zumach: Es gibt überhaupt keine Alternative. Und bei aller berechtigten und notwendigen Kritik an bestimmten Strukturen, an bestimmtem Versagen, auch an bestimmten wichtigen Leuten, die versagt haben in diesen jetzt fast 80 Jahren UNO, es ist das kleinere Übel, dass wir überhaupt eine Organisation haben. Erstens, in der sich alle Mitgliedstaaten zumindest in der UNO-Charta auf die zwischenstaatliche Gewaltverbote geeinigt haben. Die zweitens dafür sorgt, durch ihre humanitären Organisationen, dass die Überlebenden von Kriegen, aber auch von Naturkatastrophen versorgt werden. Und eine Reihe von Kriegen auch doch verhindert wurden, auch atomare Kriege, die wir sonst im Kalten Krieg gehabt hätten. Und last but not least schließt sich innerhalb dieser UNO zu ganz verschiedenen Themen, Menschenrechte, Umweltfragen, Rüstungskontrolle, Abrüstung, Sozialfragen.

Inzwischen sind tausende von zwischenstaatlichen Verträgen abgeschlossen worden, die allermeisten werden auch eingehalten. Schlagzeilen machen immer nur die, die verletzt werden. Das müssen wir auch mal sehen. Von daher, es gibt einige Strukturprobleme von Anfang an, dass sich diese UNO nicht, die in der Charta eigentlich vorgesehenen Militärstrukturen geschaffen hat, wo wir heute eine UNO-Truppe hätten, mandatiert vom Sicherheitsrat, wenn zum Beispiel so eine Situation wie der Völkermord in Rwanda 1994 unabweislich droht. Man hätte eine UNO-Truppe zwischen die damals verfeindeten ethnischen Gruppen Hutus und Tutsis stellen sollen und müssen, um diesen Krieg zu verhindern. Solange dieses UNO-Instrumente nicht besteht, sondern die UNO im Bedarfsfall dann immer noch darauf angewiesen ist, dass bestimmte Mitgliedstaaten, meistens sind westliche oder NATO-Länder, ihre Truppen schicken, weil sie ein Eigeninteresse haben, funktioniert es halt nicht.

Also, da ist Reformbedarf und auch finanziell gibt es einen Reformbedarf. Natürlich muss der Sicherheitsrat geändert werden, damit gewichtige Länder des Südens dort heute genauso viel Gewicht haben, wie die fünf ursprünglichen ständigen Mitglieder. Also es gibt viele Reformen, Notwendigkeiten, die alle beschrieben sind, aber, letzter Satz, die UNO ist so gut, auch so schlecht, wie es ihre Mitgliedstaaten zulassen oder eben nicht zulassen.

Henning Schreiber: Das heißt, man bräuchte also nicht nur die, ich sage mal, uns allen bekannten UNO-Blauhelmsoldaten, sondern man bräuchte quasi Soldaten mit einem, oder man bräuchte Blauhelme mit einem erweiterten Mandat?

Andreas Zumach: Also man braucht Blauhelme, erst eine UNO-Truppe, wo nicht ein Bundeswehrkontingent oder eine amerikanische Brigade oder auch eine chinesische, dann hinkommen, sondern sie und ich, als individuelle Staatsbürger Deutschlands mit Brasilianern, mit Japanern, mit Bangladeschis, und wir werden alle nach gemeinsamen Kriterien ausgebildet. Und es muss klar sein, zu welchen Zwecken wir eingesetzt werden, muss ganz klar definiert sein, also zur Verhinderung oder Beendigung der vier sogenannten Kernverbrechen, das ist Völkermord, Angriffskrieg, Verbrechen gegen die Menschheit und Menschenrechtsverbrechen. Es muss klar sein, wer das Mandat beschließt.

Im Idealfall nicht der Sicherheitsrat alleine, sondern eine qualifizierte Mehrheit der UNO-Generalversammlung, damit ein solcher Einsatz dann auch eine möglichst breite Legitimationsbasis hat. Eine solche Truppe wäre eben auch schnell einsetzbar. Und es hängt dann nicht davon ab, ob in einem konkreten Fall ausreichend Interessen bei einzelnen Mitgliedstaaten besteht oder nicht, sich da zu engagieren.

Henning Schreiber: Aber das scheitert dann wahrscheinlich, sag ich mal, an den großen Mitspielern in Anführungsstrichen, wie den USA, wie China, wie Russland letztendlich auch, weil die halt lieber selbst kontrollieren wollen, wo sie eingreifen, oder?

Andreas Zumach: Das ist jetzt seit 80 Jahren der Fall, dass diese fünf, die damals in der UNO-Charta den Status des ständigen Mitglieds im Sicherheitsrat bekamen, mit dem Veto-Recht und dann in den 60er Jahren durch das Abkommen zur Nichtverbreitung von Atomwaffen sich auch noch den Status gesichert haben, die einzigen sogenannten legitimen Atomwaffen zu sein. Diese fünf sind überhaupt nicht bereit zu irgendeiner Reform, irgendeiner Veränderung. Und da ist der Unwille in Paris, in Washington, in London genauso groß wie in Peking oder in Moskau.

Henning Schreiber: Aber eigentlich bedeutet das doch, Frieden schaffen ohne Waffen geht nicht?

Andreas Zumach: Dem würde ich schärfstens widersprechen. Erstens, seit Beginn des Russischen Krieges gegen die Ukraine ist ja behauptet worden, vielfach bei uns von Politikerinnen, aber auch Journalisten, Kollegen, „Frieden schaffen ohne Waffen“ gehöre jetzt endgültig auf den Müllhaufen der Geschichte. Wer das sagt, hat nie verstanden, was Frieden schaffen ohne Waffen meint.

Und ich weiß es, denn ich war dabei, als dieser Spruch irgendwo auf der Autobahn zwischen Karlsruhe und Stuttgart 1977 erfunden wurde vom damaligen Landesgeschäftsführer der Deutschen Friedensgesellschaft in Karlsruhe. Das war Oli Thiel. Frieden schaffen ohne Waffen meinte immer viel mehr, als dass wir in einer konkreten Situation, wo eine Seite bereits zu den Waffen gegriffen hat, also aktuell Putin Russland, dann nicht selber dagegen militärisch vorgeht, beziehungsweise an den Angegriffenen, also hier in die Ukraine, keine Waffen liefern.

Frieden schaffen ohne Waffen meinte immer, dass wir endlich, national in Deutschland, aber auch auf der Ebene der EU und der gesamte europäischen Organisation für Sicherheit und Zusammenarbeit in Europa und auf der Ebene der UNO uns all die zivilen Instrumente, Fähigkeiten und Ressourcen schaffen, um mit Konflikten rechtzeitig umzugehen, sie rechtzeitig zu erkennen, rechtzeitig zivile, politische, diplomatische, wirtschaftliche Mittel einsetzen, um sie zu deeskalieren, zu verhindern, dass sie überhaupt auf die Gewalt, auf die Kriegsebene eskalieren. Und wenn das doch passiert ist, mit zivilen Mitteln die Kriege beenden, die Lösung und Überwindung der Ursachen und dann, ganz wichtig natürlich, die Versöhnung zwischen verfeindeten Völkern. Das meint „Frieden schaffen ohne Waffen.“

Andreas Zumach: Und bis heute haben wir uns diese Fähigkeiten nicht hergestellt, das ist immer noch ein Tropfen auf dem heißen Stein verglichen mit dem, was an Geld und anderen Ressourcen in den militärischen Bereich geht. Das sieht man ja gerade auch wieder ganz aktuell. Wir haben in Europa ja eigentlich gedacht, dass wir die Zeiten, in denen ein Land, das Nachbarland überfällt, ja eigentlich überwunden hätten, dass diese Zeiten vorbei sind. Seit Putins Angriff auf die Ukraine wissen wir, dass das nicht so ist.

Henning Schreiber: Wie konnte es trotzdem soweit kommen?

Andreas Zumach: Also, erst mal muss man auch hier daran erinnern, wenn behauptet wurde, seit Beginn dieses Krieges, dass sei das erste Mal, dass in Europa nach Ende des Kalten Krieges, also nach 1989 militärische Gewalt eingesetzt würde, mit dem Ziel, Grenzen zu verändern, das stimmt natürlich nicht. Diese Pandora-Büchse hat leider die NATO geöffnet mit ihrem völkerrechtswidrigen Luftkrieg gegen Serbien 1999. Ich will damit den Charakter dieser beiden Kriege nicht auf eine Stufe stellen.

Da gibt es große Unterschiede. Aber es ist natürlich schlimm, dass diese Büchse jetzt noch weiter geöffnet worden ist durch Putin-Russlands Angriffskrieg. Ich glaube, zusätzlich zu dem, was wir bereits gesagt haben, über die Grundbedürfnisse von Menschen, die erfüllt sein müssen, Gerechtigkeit, damit es nicht zu Konflikten kommt, gibt es auch sowas wie legitime Sicherheitsinteressen von Staaten.

Ich habe mich mit diesem Begriff zu Zeiten des Kalten Krieges immer sehr schwergetan, weil damit ja auch immer mit gemeint war, zur Durchsetzung und Wahrung dieser legitimen Sicherheitsinteressen darf ich auch Militär vorhalten, damit drohen und notfalls einsetzen. Das fiel mir als Pazifist immer schwer. Nur wenn die eine Seite nach wie vor legitime Sicherheiten reklamiert und große militärische Potenziale vorhält und das tut die NATO auch seit Ende des Kalten Krieges, kann man der anderen Seite, in dem Fall Russland, das nicht verwehren.

Und ich denke, in der Vorgeschichte zu dem jetzt stattfindenden Krieg hat der Westen an ganz vielen Punkten diese legitimen Sicherheitsinteressen Russlands missachtet, mit schädlichen Folgen bis hin zu der von mir von Anfang an immer als historisch katastrophal falsch kritisierten NATO-Osterweiterung, womit ich nicht diese NATO-Osterweiterung oder andere Fehler und falsche Weichenstellungen des Westens in irgendeiner Weise zur Rechtfertigung für Putins Angriffskrieg gegen die Ukraine sehe. Das ist ein verbrecherischer völkerrechtswidriger Angriffskrieg, für den es überhaupt keine Rechtfertigung gibt. Aber man muss die Vorgeschichte sehen, zumal wenn wir in Zukunft irgendwann mit diesem Russland wieder, zumindest eine gedeihliche Nachbarschaft auf unserem Kontinent haben wollen, und wir haben ja gar keine Alternative, wir können Russland ja nicht aus dem eurasischen Kontinent rausschmeißen, dann müssen wir über die gemachten Fehler reden und sei es auch nur darum, sie nicht zu wiederholen und vielleicht einige zu korrigieren.

Henning Schreiber: Lauert die Gefahr eines solchen Überfalls bzw. Angriffskrieges derzeit auch noch anderswo?

Andreas Zumach: Wenn sie über Europa meinen, nein. Ich glaube, da ist ein fundamentaler Meinungsunterschied mit vielen anderen, die im Moment über diesen Krieg reden. Bei aller scharfen Kritik des Krieges, ich habe auch die völkerrechtswidrige Annexion der Krim 2014 vom ersten Tag an schärfstens kritisiert, auch Vorschläge gemacht, wie man das vielleicht durch eine neue, aber von der UNO überwachte Abstimmung lösen könnte, diesen Konflikt.

Aber ich teile nicht die Behauptung, dass jetzt auch etwa ein Angriff auf die ehemaligen Sowjetrepubliken, die baltischen Staaten drohe oder gar auf osteuropäische NATO-Länder wie Polen oder gar auf Deutschland. Ich halte das für analytisch falsch. Man kann die Interessen, die Putin mit diesem Krieg verfolgt, sehr klar beschreiben analytisch.

Das heißt nicht, sie zu rechtfertigen. Und diese Interessen beziehen sich meines Erachtens auf die Ukraine und da noch nicht mal auf die gesamte Ukraine, sondern auf die Teile, die im Moment bereits von Russland kontrolliert und umkämpft sind. Also Krim, Donbass und diesen Landgürtel am Asowschen Meer aus religiösen, aus historischen, aus kulturellen und aus geostrategischen Gründen ist, dass das Interesse.

Henning Schreiber: Brauchen wir in Deutschland, in Europa vielleicht eine neue Friedensbewegung? Also Sie waren ja damals mit aktiv, auch bei den Demonstrationen in Bonn, soweit ich das weiß. Brauchen wir sowas heute wieder?

Andreas Zumach: Es wäre natürlich sehr schön, wenn öffentlich eine sehr starke Druckbewegung existieren würde, die dem Bundeskanzler und der Bundesregierung helfen würde, aus dieser verfahrenen Situation, wie wir sie jetzt, wo wir reden Ende November haben, rauszukommen im Ukraine-Krieg. Das ist ja ein riesen Dilemma. Aber man muss ehrlicherweise sagen, die Rahmenbedingungen sind natürlich grundsätzlich andere als in den 80er Jahren.

Wir haben damals die Demonstration gemacht gegen die Logik der atomaren Abschreckungspolitik, die sowohl im Westen eskaliert, aber auch von der Sowjetunion eskaliert betrieben wurde, mit immer neueren, immer gefährlicheren, immer destabilisierenden Atomwaffen. Das war der wesentliche Antrieb für die Friedensbildung, wobei es auch andere Themen gab wie die Rüstungsexporte. Dieser Krieg, der Ukraine-Krieg, ist natürlich eine neue Situation, gar keine Frage.

Und wirft andere Dilemmata auf und macht es auch schwieriger. Und dazu kommt Folgendes: Die heutige Generation, bis maximal 25, 28, für die ist dieser Krieg der erste, den sie in ihrem Leben überhaupt bewusst erleben.

Wenn ich in Schulklassen bin, was ich häufig mache und rede über den Vietnamkrieg: keine Ahnung. Die Golfkriege der 80er Jahre: keine Ahnung. Die jugoslawischen Zerfallskriege der 90er: keine Ahnung.

Den britisch-amerikanischen Angriffskrieg gegen Irak 2003, keine Ahnung. Die haben vielleicht mitgekriegt, dass 2021 dieser merkwürdige Afghanistankrieg zu Ende gegangen ist, aber das war's. Und es kommt ja auch in der Schule nicht vor, diese ganzen Kriege seit 1945.

Also es ist keine Kritik an der jungen Generation. Aber weil sie eben auch gar keine Vorerfahrung haben, wie frühere Kriege dann auch durch Verhandlungen irgendwann zu Ende gebracht wurden, etwa den Vietnamkrieg, gibt es in dieser Alterskohorte ja bei allen seriösen Umfragen die allergrößte Zustimmung zu Waffenlieferungen. Während in der älteren Kohorte, also mein Alter 55 bis 90, die größte Ablehnung ist.

Das ist genau umgekehrt wie in den 80er Jahren. Und da muss man drüber reden, wie man da die jungen Leute, die aus Verzweiflung und Nichtwissen vom Bauch her sagen, ja man muss doch jetzt hier Waffen liefern, es gibt doch keine andere Möglichkeit, wie man die wieder für Friedensarbeit gewinnen kann.

Henning Schreiber: Der Slogan der Jahreskampagne der Caritas lautet „Frieden beginnt bei mir“. Was kann ich denn tun oder was kann jeder Einzelne von uns tun, damit das auch funktioniert?

Andreas Zumach: Also ich gebe unumwunden zu, es ist schwieriger geworden. Es ist auch schwieriger geworden, weil alle heute so ein Smartphone haben oder fast alle, wo ja rund um die Uhr pausenlos irgendwelche Text- oder Bildbehauptungen aus der ganzen Welt auf einen einströmen, die behaupten, dass und das ist da passiert, der und der hat das und das da gemacht.

Also ich muss sagen, ich beneide heutige 16- und 18-Jährige überhaupt nicht. Das ist verdammt viel schwieriger, sich zu orientieren. Aber wenn wir mal im persönlichen Bereich anfangen, ich würde trotzdem immer noch sagen, auch bei persönlichen Auseinandersetzungen, innergesellschaftlichen, die wir ja zunehmend auch haben, Verfeindungen, erstens genau hingucken. Fragen, was ich da an Behauptungen über den anderen erfahre. Stimmt das? Nachprüfen, nachfragen. Nicht einfach übernehmen. Das ist eine ganz eherne Regel. Zweitens mich nicht in Verfeindungen treiben lassen.

Also zu sagen, weil der jetzt Geflüchteter ist oder schwarz aussieht oder angeblich mehr Geld kriegt als ich, was meistens nicht stimmt, deswegen ist er mein Feind. Also auch all den Feindbildern, die innergesellschaftlich, natürlich vor allem die AfD und ihr Umfeld produziert, nicht drauf reinfallen. Ich bin sogar der Meinung, dass wir im Vorfeld der Europawahlen, die ja am 9. Juni sind, eine Kampagne machen sollten in Deutschland. Einfache Veranstaltung: Wir lesen gemeinsam das Wahlprogramm der AfD und dann eine Gewerkschafterin, die mir den Sozialteil vorliest.

Und dann würden alle im Saal feststellen, das ist die asozialste, neoliberalste Partei, die übertrifft die FDP bei weitem. Oder wenn heute AfDler auch mit Frieden schaffen, ohne Waffen rumgehen, dann lesen wir mal gemeinsam das Außen- und Sicherheitspolitische Kapitel.

Es ist die militaristischste aller Parteien. Bei Parteifunktionären und Abgeordneten im Bundestag dieser Partei muss ich annehmen, die kennen das Parteiprogramm. Aber ich sage mal, 90% derer, die sie wählen oder damit liebäugeln, und sei es auch nur, um den anderen Parteien mal eins auszuwischen, kennen dieses Programm überhaupt nicht.

Also mich an einer solchen Aufklärung zu beteiligen und drittens mich zu engagieren für Menschen in unserer Gesellschaft, die nun wirklich ganz unten sind. Das sind nicht nur Geflüchtete, das sind auch viele Menschen, die inzwischen durch soziale Raster fallen, Obdachlose usw. Um all denen auch in der Politik entgegenzuwirken, die diese neoliberalen Verfeindungen in unserer Gesellschaft ja immer noch weit vorantreiben.

Also wenn wir zur Stunde, wo wir miteinander reden, wie gesagt, Anfang Dezember, offen darüber geredet wird, dass Bürgergeld wieder drastisch einzukürzen. Nur weil es eben diese Haushaltskrise gibt nach dem Karlsruher Urteil. Das meine ich da auch dann, sich dagegenzustellen.

Henning Schreiber: Also zumindest, was den dritten Punkt betrifft, kann ich ja sagen, dass die Caritas diese Menschen natürlich auch nach Kräften unterstützt. Dafür sind wir auch da.

Andreas Zumach: Also ich muss sagen, wenn ich das wirklich, das ist jetzt keine Honig-um-den-Mund-Schmiererei, mir sind nicht nur die Caritas, sondern hier auch der Paritätische Wohlfahrtsverband die allerwichtigsten Akteure, was diese Frage in unserer Gesellschaft betrifft, seit vielen Jahren.

Henning Schreiber: Abschließend noch die Frage, Sie engagieren sich seit Jahrzehnten für den Frieden oder für das Thema Frieden. Sind Sie noch Pazifist?

Andreas Zumach: “Ich bin Pazifist, wobei ich, selbst wenn ich Pazifist bin und mich mit all meiner Kraft für die Schaffung ziviler Instrumente zur Bearbeitung von Konflikten einsetze. Und das würde ich auch von allen Pazifisten verlangen, trotzdem seriöser Weise nicht ausschließen kann, dass es etwa zu so einer Situation wie 94 in Rwanda kommt, wonach weiß ich Völkermord unmittelbar bevorsteht, geplant war die Macheten, ausgegeben sind die Propaganda. Und dann kann ich als Pazifist nicht einfach sagen, das interessiert mich nicht, dann sollte ich andere drum kümmern.

Ich finde, da muss man als Pazifist mitreden und deswegen plädiere ich für diese UNO-Truppe, werde dafür aber von anderen Pazifisten in unserem Lande kräftig gescholten.

Henning Schreiber: Vielen Dank für das Gespräch.

Andreas Zumach: Aber gerne.

Frieden beginnt bei mir. Ein schwieriges Thema, ein wichtiges Thema, das uns das ganze Jahr begleiten wird, auch in diesem Podcast. In der nächsten Folge geht es dann auch gleich weiter mit diesem Thema. Da spreche ich mit dem Fernsehmoderator und Kinderbuchautor Willi Weitzel darüber, wie man Kindern Krieg und Frieden erklärt.

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