Luc Walpot: Die Vorstellung vom Frieden niemal aufgeben

Shownotes

Heute ist Luc Walpot mal nicht dem „heute journal“ in Mainz zugeschaltet, sondern Gast in unserem Podcast. Für das ZDF war Luc Walpot als Auslandskorrespondent rund um den Globus im Einsatz: Er berichtete aus den ZDF-Studios Washington, Paris, Brüssel, Moskau, Tel Aviv, Istanbul sowie dem ehemaligen Jugoslawien. Viele Jahre war er Leiter des ZDF-Studios in Kairo. Weltweit war er in zahlreichen Kriegs- und Krisengebieten im Einsatz.

In dieser Folge spreche ich mit Luc Walpot über seine Arbeit als Kriegs- und Krisenberichterstatter, über die Putins, Erdogans und Chameneis dieser Welt und was passiert, wenn Trump im Herbst wieder mit dazu kommen sollte. Und Luc Walpot erklärt, dass wir trotz allem die Vorstellung von Frieden niemals aufgeben sollten.

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Tach auch, der Podcast der Caritas Dortmund. Tach auch und herzlich willkommen zu einer neuen Podcast-Folge. Mein Name ist Henning Schreiber.

Heute ist Luc Walpot mal nicht dem Heute-Journal in Mainz zugeschaltet, sondern zu Gast bei uns im Podcast. Für das ZDF war Luc Walpot als Auslandskorrespondent rund um den Globus im Einsatz. Er berichtete aus den ZDF-Studios in Washington, Paris, Brüssel, Moskau, Tel Aviv, Istanbul sowie dem ehemaligen Jugoslawien.

Viele Jahre war er Leiter des ZDF-Studios in Kairo. Weltweit war er in zahlreichen Kriegs- und Krisengebieten unterwegs.

In dieser Folge spreche ich mit Luc Walpot über seine Arbeit als Krisen- und Kriegsberichterstatter, über die Putins, Erdogans und Chameneis dieser Welt und was passiert, wenn Trump diesem Club ab Herbst wieder beitreten sollte. Und Luc Walpot erklärt, dass wir trotz allem die Vorstellung von Frieden niemals aufgeben sollten.

Henning Schreiber: Herr Walpot, von wo aus sind Sie gerade zugeschaltet?

Luc Walpot: Jetzt gerade aus Berlin.

Henning Schreiber: Das muss man ja bei Ihnen immer fragen, wo Sie gerade auf dieser Welt sind.

Luc Walpot: Ja, das liegt in der Natur der Beschäftigung, die wir haben. Da wird man dann öfter mal hier- oder dorthin geschickt. Und ja, deswegen ist man eigentlich viel unterwegs, das ist schon richtig.

Henning Schreiber: Sie sind im Laufe der Jahre in sehr vielen Krisenregionen dieser Welt gewesen und haben von dort berichtet. Können Sie sich noch an Ihren allerersten Einsatz in einer Krisenregion erinnern?

Luc Walpot: Ja, kann ich sehr gut. Das ist allerdings schon sehr lange her. Das ist jetzt schon 30 Jahre her. Das war im Jugoslawienkrieg, ich stand an der albanisch-kosovarischen Grenze und dort kamen viele Schwerverletzte rüber, weil die Serben gerade im Kosovo eingefallen waren. Das war eine kritische Situation.

Henning Schreiber: Wenn man als Reporter zum allerersten Mal in so einer ist, kann man sich darauf vorbereiten?

Luc Walpot: Ja, auf jeden Fall. Zum einen ist das über die Jahrzehnte, muss man sagen, auch immer weiter ausgebaut worden. Auch bei uns, also in meinem Betrieb, dem ZDF, aber auch bei den Kollegen von der ARD, BBC, viele Zeitungen machen das auch. Wir bereiten uns sehr eingehend darauf vor. Dazu gehört z.B. teilweise auch militärisches Training.

Das heißt, Gefahren bewusst wahrnehmen, wie gefährlich ist es für einen Reporter, der nicht in einem militärischen Kontext steht. Wenn Sie als Soldat in ein Gefechtsfeld ziehen, haben Sie eine Einheit, darüber steht eine Garnison, Sie haben eine Logistik dahinter, Sie wissen, wo die Sanitätstruppen sind, wenn etwas los wäre. All das haben wir ja als Reporter nicht. Wir fahren zwar nicht blauäugig, aber wir fahren ja doch im Prinzip sehr einsam in diese Szenarien hinein. Und deswegen ist Vorbereitung das A und O, das ist natürlich auch beim Militär so, aber bei uns ist es umso wichtiger, weil wir eben nicht diese logistische Kette hinter uns haben, die zum Beispiel Militärangehörige haben. Heißt, man bereitet das erst mal logistisch sehr genau vor.

Man versucht sehr viele Informationen über den Ort zu sammeln und die Strecke, die dahinführt, sich auch immer absichern. Wie kommen wir da schnell wieder raus? Möglichst sicher.

Und hinzukommen natürlich, wenn man den Blick etwas weitet, dass alle, die jedenfalls bei uns, aber auch beispielsweise bei der ARD, alle, die in solche Kriegs- und Krisenszenarien fahren, vorgeschult werden, zum Teil bei der Bundeswehr, zum Teil bei privaten Firmen, in Risk Awareness, wie das auf Neudeutsch heißt. Also Gefahren bewusst wahrnehmen. Das lernt man da, nicht mit der Waffe umzugehen. Wir tragen keine Waffen und wollen auch keine Waffen tragen. Aber wie erkenne ich eine Gefahr, die da lauert, möglichst schnell und möglichst effizient und begebe mich erst gar nicht in so eine Gefahr? Das lernt man da. Hinzukommen regelmäßige Erste-Hilfetrainings, auch für Schwerverletzte. Da werden lebensrettende Maßnahmen in einer Krisensituation getestet.

Da geht es dann nicht um stabile Seitenlage, sondern auch, was man macht, wenn Arme und Beine weggeschossen werden. Solche Sachen werden regelmäßig geübt.

Henning Schreiber: Damit man mit diesen Situationen dann auch umgehen kann, sollte was passieren?

Luc Walpot: Das Schwierigste in diesen Situationen ist ja Stress. Wie schaffen Sie es, diesen Stress einigermaßen unter Kontrolle zu bringen, sodass Sie rationale Entscheidungen treffen? Das ist schwierig. Insbesondere, wenn man sich schlimmstenfalls, was zum Glück bei mir nie vorgekommen ist, vorstellt, dass jetzt der Kameramann angeschossen wurde oder einer im Team schwer verletzt wurde. Das schafft natürlich einen Stresslevel, der nicht dazu geeignet ist, immer die beste rationale Entscheidung zu treffen. Aber genau das muss man üben. Man muss auch da möglichst einen kühlen Kopf wahren, um die richtige Entscheidung zu treffen, was machen wir jetzt, wie kommen wir hier schnell und möglichst lebensrettend wieder raus.

Henning Schreiber: Was ist denn Ihr Ansporn, immer wieder aus Krisenregionen zu berichten?

Luc Walpot: Ich glaube, das ist bei jeder Kollegin, jedem Kollegen natürlich anders. Bei mir ist es, würde ich schon sagen, zu verstehen, warum. Warum gehen Menschen über diese Grenzen hinweg und geben sich einem Gewaltlevel hin, also einer Ebene von Gewalt, die natürlich im normalen Alltag nichts verloren hat und da aber Gang und Gäbe ist. Ich glaube, das ist ein Stück weit Neugier. Über die Jahre ist da vielleicht auch ein Schuss Zynismus hinzugekommen. Man wird natürlich zynisch, wenn man so viel Leid sieht über all die Jahre. Aber es ist immer noch nach wie vor, wie zu Beginn meiner journalistischen Karriere, das Interesse daran zu verstehen, warum. Warum machen die das? Was passiert da?

Henning Schreiber: Und vielleicht auch, weil darüber berichtet werden muss?

Luc Walpot: Jein, denn es muss berichtet werden. Das „Jein“ bezieht sich nicht auf ihre Frage. Selbstverständlich muss berichtet werden. Aber, und deswegen nur ein „Jein“: Es gibt Kolleginnen und Kollegen, die anders als wir beispielsweise, und ich konkret, wirklich täglich ihr Leben riskieren, um an der Frontlinie, der sogenannten Kontaktline, also da, wo die beiden Kriegsgegner sich gegenüberstehen und auch aktives militärisches Waffengeschehen stattfindet, um dort zu recherchieren, zu filmen, zu berichten. Das sind insbesondere die Kolleginnen und Kollegen der sogenannten Nachrichtenagenturen, die auch eine wesentlich höhere Verlustrate, muss man leider sagen, haben. Da kommen tatsächlich sehr oft Kolleginnen und Kollegen ums Leben oder werden schwer verletzt. Die gehen jeden Tag an die Schmerzgrenze, das haben wir schon jahrelang ganz journalistisch gesehen und berichten von vorderster Linie. Wir versuchen, diese Risiken nicht einzugehen und trotzdem ein möglichst vollständiges Bild der Lage zu bekommen. Das ist aber nicht immer einfach.

Henning Schreiber: Das kann ich mir vorstellen. Sie haben das gerade mit dem Zynismus schon mal ein wenig angedeutet: Wenn man schon so viele Krisen und Kriege weltweit gesehen und erlebt hat, glaubt man da selbst noch an so etwas wie Frieden?

Luc Walpot: Naja, das ist ja auch ein großes Wort: „Frieden“. Was ist denn Frieden? Wenn Sie sich zum Beispiel die Situation auf Zypern anschauen. Der Krieg war in den 70er Jahren zwischen der Türkei und Griechenland um die Insel Zypern. Seither gibt es da eine Demarkationslinie, wo UNO-Truppen stehen und es herrscht „Frieden“, zwischen Anführungszeichen. Ein Friedensvertrag wurde nie unterzeichnet. Der nördliche Teil der Insel wird nur von der Türkei als Staat anerkannt. Der südliche Teil ist Teil der EU. Ist das Frieden? Ja, zumindest herrscht dort kein aktives Kampfgeschehen. Das ist sehr viel. Aber deswegen bin ich immer vorsichtig mit Frieden.

Was ist schon Frieden? Frieden ist auf jeden Fall die Abwesenheit von Tod und Kampfgeschehen. Darauf, finde ich, kann man sich einigen. Ist das noch möglich? Weiß ich nicht. Wenn Sie sehen, wie Öffentlichkeiten heutzutage funktionieren, wie leicht es ist, ganze Gesellschaften zu manipulieren.

Schauen Sie sich an, was in Russland gerade passiert. Wir neigen ja gerade hier im Westen in Europa sehr oft dazu anzunehmen, dass Putin isoliert ist und dass die Russen diesen Krieg eigentlich nicht wollen. Das stimmt so nicht. Ich war lange Korrespondent in Istanbul und damit auch in Teheran, weil das für uns als ZDF zwei Staaten sind, die als Berichtsgebiet zusammenhängen, der Iran und die Türkei. Ich kenne also Iran ganz gut und kann aus eigener Erfahrung sagen, die wohlfeile Vorstellung, dass die iranische Gesellschaft ja gar nicht einverstanden ist mit dem, was diese Diktatur da, dieses Mullah-Regime treibt, die stimmt eben leider nur zum Teil. Es gibt wirklich einen großen, einen beträchtlichen Teil von Iranerinnen und Iranern, die das unterstützen. Das gehört leider zur Wahrheit dazu. Also wenn Sie das alles zusammen nehmen und sehen, wie leicht Gesellschaften manipulierbar geworden sind, sicherlich auch durch soziale Medien und durch die Einflussmöglichkeiten, die wir heute haben, dann fällt es wirklich schwer, um Ihre erste Frage zu beantworten, noch an Frieden zu glauben, weil es sehr leicht ist, Menschen so weit zu bringen, dass sie der Ansicht sind, nur ein Krieg könne jetzt die Lösung bringen.

Henning Schreiber: Das heißt, es ist eigentlich gar nicht möglich, dass der Mensch in Frieden lebt?

Luc Walpot: Doch, ich glaube schon, das ist sehr wohl möglich. Und das ist auch eine Vorstellung, die wir auf jeden Fall weiter als Idealvorstellung verfolgen sollten. Also wir sollten das nicht aufgeben. Aber wir merken eben schon, dass es nicht zum Nulltarif kommen, sage ich mal. Es erfordert sehr viel Arbeit. So wie demokratische Verhältnisse auch sehr viel Arbeit erfordern. Und wir sehen gerade, dass wenn diese Arbeit nicht gemacht wird, wenn die Leute sich nicht mehr die Mühe machen, Wahrheit von Fake zu trennen, Meinungen von Fakten zu trennen, wenn Wissenschaft quasi in Toto in Frage gestellt wird, es gibt also keine wissenschaftlichen Aussagen mehr, das machen uns jedenfalls der eine oder die andere auf TikTok oder Instagram weiß, das belebt das Geschäft derer, die Frieden nicht wollen, sondern die auf anderen Wegen zu ihren Lösungen kommen wollen. Und deswegen, es gibt Frieden, wir sollten das auch weiterverfolgen. Aber wenn Sie sehen, wie die Vereinten Nationen als Instrument der Friedenssicherung nach dem Zweiten Weltkrieg, der Katastrophe des Zweiten Weltkriegs geschaffen, unter Druck stehen heute und welche Wirkungskraft die Vereinten Nationen noch haben, da muss man sagen, ja, wir sind noch lange nicht da, wo wir hin wollen.

Henning Schreiber: Ja, das hat auch Ihr Kollege Andreas Zumach in diesem Podcast schon mal gesagt, dass die Vereinten Nationen in 70 Jahren zwar schon einiges erreicht haben, aber vieles immer noch nicht. Aber Sie haben ja selbst auch viele Politiker, viele mächtige Menschen, im Laufe ihrer Karriere kennengelernt, interviewt. Demokraten, demokratische Politiker, auch Menschen, die von der Demokratie eher etwas weiter entfernt waren. Was treibt denn Menschen an, ständig Konflikte oder Kriege zu suchen? Ist es Gier?

Luc Walpot: Gier ist ein Motiv, aber nicht das einzige. Wenn Sie zum Beispiel die Blutkriege im Kongo, in Goma sehen oder so, das sind natürlich klassische Gierkriege, weil dahinter mächtige industrielle Gruppen stehen, die also mal Rohdiamanten, mal Lithium, mal Coltan oder sonstige Rohstoffe dort abbauen wollen. Und deswegen an einem failed state Kongo, also einem kaputten Staat Kongo, sehr großes Interesse haben. Ganz vorne dabei Herr Kagame, dem wir ja übrigens demnächst unsere Asylbewerber übermitteln wollen, der in meinen Augen also Null Glaubwürdigkeit besitzt. Aber gut, das ist Gier, ist ein Motiv, bin ich bei Ihnen. Aber es ist leider nicht das Einzige.

Es gibt tatsächlich auch fehlgeleitete Überzeugungen, muss man sagen. Also religiöser oder extremistische Überzeugungen. Oft religiöser Natur. Die wabern auch so ein bisschen einmal um den Erdball rum. Und das ist nicht nur im Islam der Fall. Wenn Sie sich mal anschauen, mit welchen religiösen Überzeugungen Extremrechte, Evangelikale in den USA unterwegs sind, dann wird einem als normaler Katholik oder normaler Protestant in Deutschland schon angst und bange.

Weil die sich ja im Prinzip auf dieselbe Bibel berufen. Aber ich sehe da schon eine ganz andere Bibel. Also das ist jetzt nicht, man kann das nicht verkürzen, nur auf irgendwelche extremistischen Taliban in Afghanistan, was dann dem islamischen Spektrum zuzuordnen wäre.

Wenn Sie sich anschauen, was zurzeit in der extrem rechten religiösen Orthodoxie in Israel passiert. Also es ist generell ein Problem. Es ist übrigens auch nicht auf die monotheistischen Religionen beschränkt.

Das gilt zum Beispiel auch für Buddhisten, wenn sie sich Myanmar anschauen, wie die mit den Rohingya umgegangen sind. Also das ist ein anderes großes Motiv. Religiöser oder ideologischer Extremismus. Und das dritte ist tatsächlich, glaube ich, ein Stück weit so eine Art Größenwahnsinn, könnte man das nennen. Also in kleinerer Form würde man es heute Nationalismus, übersteigerter Nationalismus nennen. Aber letzten Endes steckt dahinter die Vorstellung, ich als Russe bin mehr wert als du als Ukrainer. Oder ich als Chinese bin mehr wert als du als Uigure. Das ist letzten Endes eine rassische Wahnvorstellung, muss man schon fast so sagen. Also es gibt verschiedene Motivlagen. Es ist nicht immer nur Gier.

Henning Schreiber: Man fragt sich manchmal, sie kennen ja Russland ganz gut, und die Ukraine kennen sie auch sehr gut. Da fragt man sich schon manchmal, was einen Vladimir Putin antreibt. Flächenmäßig ist ja Russland eh schon der größte Staat der Welt. Als religiöser Extremist ist er ja auch selbst nicht bekannt, obwohl er ganz gute Kontakte zur orthodoxen Kirche hat, aber als religiöser Extremist würde ich ihn jetzt nicht bezeichnen. Sein Land ist schon riesig. Da fragt man sich halt auch, was treibt so einen Menschen eigentlich noch an? Was will der noch?

Luc Walpot: Ja, also in diesem konkreten Fall, glaube ich, ist es tatsächlich eine Mischung aus vielen Faktoren, die aber sehr stark in der Persönlichkeit des Vladimir Putins begründet sind. Und Teil dieser, ich sag mal, fehlgeleiteten Wahnvorstellungen ist, dass er gerne die Größe und die Macht der früheren Sowjetunion zurückhätte. Er will nicht die Sowjetunion zurückhaben, wohlgemerkt, er ist natürlich kein Marxist, er ist ein Turbo-Kapitalist. Aber er hätte gerne die Macht und die Bedeutung und auch die territoriale Ausdehnung zurück, die Russland oder die Sowjetunion, seinen Vorgängerstaat, mal verloren hat. Fragen Sie mich nicht nach dem Psychogramm des Wladimir Wladimirowitsch, da kann ich Ihnen wenig zu sagen. Aber interessant finde ich, ich war ja auch lange in der Türkei als Korrespondent, ich glaube es gibt Putins oder Erdogans oder meinetwegen auch Chameneis, gibt es, wenn nicht wie Sand am Meer, dann doch viele.

Die entscheidendere Frage ist für uns als Reporter auch, wer wählt die, wer steht dahinter? Die sind ja nie Einzelgänger, natürlich ist Putin Einzelgänger. Aber wenn Sie sich das anschauen, wie beispielsweise die Oligarchen ihre Meinung geändert haben, die anfangs noch gegen diesen Krieg waren, gegen die Ukraine, und inzwischen voll hinter Putin stehen, weil sie sich da möglicherweise ein besseres Geschäftsmodell von versprechen, das ist doch interessant.

Also im Fall beispielsweise der Türkei, Präsident Erdogan wurde gewählt, nicht von allen Türken, aber von einer stabilen, also mehr als 40% großen Masse der Wählerinnen und Wähler. Das ist doch die entscheidende Frage. Wer kommt zu der Überzeugung, dass dieser Mann gewählt werden muss, so wie in den USA die Trump-Wähler?

Da hat man auch erst gedacht, das sind fehlgeleitete, unter der Wirtschaftskrise leidende arme Leute. Das ist Quatsch. Wir wissen heute, das ist aus der Mitte der Gesellschaft, das sind die Spitzen der Gesellschaft, das sind Milliardäre. Das ist ein Querschnitt durch die gesamte Gesellschaft. Die haben also kein Problem damit, gut, ich werde nicht über Trump herziehen, aber wir wissen ja alle, wo der Mann steht, politisch und inhaltlich, einen solchen Mann ihre Stimme zu geben.

Henning Schreiber: Was ja durchaus dieses Jahr im November wieder passieren könnte. Ich formuliere es einfach mal so, sollte jetzt Trump auch noch gewählt werden, können wir es damit im Frieden weltweit vergessen?

Luc Walpot: Nein, zum einen darf man nicht sich in Defätismus ergeben, und zum anderen ist es auch nie so einfach. Ich glaube, zunächst einmal die USA, wenn wir mal bei Trump bleiben, Menschen, die Trump wählen, haben ja persönlich in ihrem eigenen Lebensumfeld überhaupt gar keinen Krieg erlebt. Die USA steht nicht im Krieg in den USA. Niemand bedroht territorial die USA. Das war im September 2011 anders. Da gab es die Angriffe auf die Twin Tower in New York, da gab es die terroristischen Anschläge. Da hatte Amerika zum ersten Mal den Eindruck, möglicherweise kann man doch auch auf Amerika draufschlagen. Möglich ist das. Das ist aber lange her und ist auch nicht mehr passiert. Die Leute, die jetzt Trump wählen, stehen ja nicht in einem direkten Kriegskontext wie die Menschen z.B. nur in der Ukraine, die jeden Tag Soldaten, Angehörige verlieren, die jeden Tag bombardiert werden, deren Infrastruktur komplett lahmgeschossen wurde von den Russen, die keinen Strom mehr haben. Das ist ein Krieg, den du jeden Tag erlebst dort.

Das ist ja nicht vergleichbar. Wir werden ja jetzt in Frankreich sehen, wir haben ja die erste Runde der Parlamentswahl jetzt in Frankreich. Da werden wir sehen, ob die Menschen tatsächlich den extremen Rechten ihre Stimme geben massiv, sodass Bardella, Le Pen und das Rassemblement eine Mehrheit bekommen. Und ob es dann wirklich besser wird für die Franzosen.

Wir haben erlebt, dass der Brexit für die Engländer ein Schuss in den Ofen war und voll nach hinten gegangen ist. Und heute würden sie für Brexit keine Mehrheit mehr bekommen, wenn sie die Abstimmung noch einmal ansetzen würden, im Lichte der Erkenntnis dessen, was tatsächlich aus Brexit geworden ist. Warum sage ich das? Um Ihre Frage zu beantworten, können wir den Frieden wegpacken. Nein, ich glaube, dass viele Menschen im Moment auch aus einer Art der sehr luxuriösen Verzweiflung heraus glauben, wenn sie nicht dreimal pro Jahr nach Mallorca fahren, geht die Welt unter. Und sich in dieser Situation den Luxus erlauben, extrem zu wählen. Und wenn es dann wirklich schlecht wird, denn das wird nämlich, im Moment ist es ja gar nicht schlecht, für ganz viele Leute ist es gar nicht schlecht, aber wenn es dann wirklich schlecht wird, dann wird möglicherweise auch die Einsicht wachsen, dass das keine gute Idee war. Ist natürlich sehr spekulativ, was ich hier sage, aber ich denke mal, man kann nicht den Frieden per se ad acta legen, nur weil wir im Moment eine Welle von Nationalismus und Populismus haben, von Milei bis Meloni und von Le Pen bis Trump. Also das alleine reicht glaube ich noch nicht, um uns jetzt in irgendwelche Untergangsszenarien zu stürzen.

Aber was ich anfangs sagte ist, es erfordert Arbeit. Und wir müssen uns auch der Tatsache bewusst werden, dass die Art und Weise, wie wir uns manipulieren lassen im Alltag, und dazu gehören Medien dazu, insbesondere eben die sogenannten Social Media, also die sozialen Plattformen, das hat Auswirkungen massiv.

Henning Schreiber: Ja, gut, also was ich da raushören kann, es besteht also doch immer noch Hoffnung. Und das ist schön. Und deshalb hat die Caritas auch in diesem Jahr die Jahreskampagne gestartet mit dem Slogan „Frieden beginnt bei mir“. Also die ganze Jahreskampagne dem Thema „Frieden“ gewidmet und der Slogan der Kampagne ist „Frieden beginnt bei mir“. Damit sich jeder einzelne auch mal Gedanken machen kann, was er dazu tun kann, damit wir in einer friedlichen Welt leben können. Was müssen wir denn tun oder was kann denn jeder von uns tun, damit uns das auch gelingt?

Luc Walpot: Also ich denke, im Moment wäre schon mal viel geholfen, glaube ich, wenn wir unseren Diskurs ändern. Wir sind in einer kommunikativen Sackgasse als Gesellschaft oder drohen, in eine kommunikative Sackgasse zu gelangen. Der Diskurs verhärtet sich. Früher ist man irgendwie zum Markt gegangen und hat dann rechts oder links mal mit jemandem gesprochen. Und da war der eine bei, der hatte eine andere Meinung. Und der dritte hatte wieder eine andere Meinung. Und die vierte hatte überhaupt keine Meinung. Und das war irgendwie auch jetzt nicht weiter anstößig und auch kein Grund für aggressives Verhalten. Und das ändert sich gerade, glaube ich. Also die Toleranz nimmt ab in der Kommunikation. Und ich glaube, da kann jeder dran arbeiten. Einfach mal innehalten, einen Schritt zurücktreten, überlegen und ganz kurz innehalten und sich selbst fragen, vielleicht ist das, was die Dame sagt, ja nicht ganz falsch. Vielleicht ist das, was der Herr sagt, ja, vielleicht ist da was dran. Vielleicht liege ich ja falsch. Einfach nur mal ein Stück weit mehr Toleranz eintreten lassen. Und das ist schwierig, weil diese sozialen Medien natürlich zu einer unmittelbaren Empörungswelle anleiten. Also es muss ja immer alles sofort beantwortet werden. Also es ist ja diese Unmittelbarkeit jetzt sofort, auch auf Fake News, auch auf Dinge, die gar nicht bewiesen sind, auch oft Hanebüchen, Informationen wird sofort reagiert. Unglaublich, unerhört, unfassbar, wie kann das sein? Also diese Empörung ist ja, die ist ja oft durch nichts gedeckt. Das ist eine reine Kurzzeit-Emotion. Und ich glaube, da kann jeder dran arbeiten. Vielleicht auch ein bisschen auf sich selber reflektieren, zu schauen und zu sagen, ok, muss das jetzt alles sein? Muss ich jetzt noch diesen Kommentar raushauen? Muss ich dazu noch Stellung beziehen? Und stimmt das überhaupt? Vielleicht sich auch mal kundig machen, was da gesagt wird. Wir haben einen Informations-Overkill. Wer will, kann sich so gut informieren wie noch nie. Aber wir als Medienprofis merken, dass immer weniger Leute sich informieren wollen und sich immer weiter zurückziehen in ihre Blase, in ihren Reflektionsraum, in ihre Reflektionskammern, wo also die vorgefertigten Meinungen nur verstärkt werden und kein Platz mehr ist für andere Meinungen, für möglicherweise auch andere Fakten, für möglicherweise auch andere Schlussfolgerungen, in denen man aus Dingen zieht.

Also ich glaube, da wäre schon viel erreicht, wenn wir wieder zu etwas mehr Toleranz und etwas mehr Verständnis und vielleicht auch einfach mal Verständnis dafür haben, dass jemand anders eine andere Meinung hat und ihn deswegen nicht gleich verteufeln.

Henning Schreiber: Genau, also quasi der Ton macht auch die Musik. Das heißt, wenn man schon was dazu sagen möchte, kann man sich ja dann immer noch überlegen, wie man es sagt. Das war ein schöner Schlussgedanke. Wissen Sie denn, wo es jetzt für Sie als Nächstes hingeht?

Luc Walpot: Nein, das weiß ich noch nicht, aber das liegt in der Natur des Jobs. Also es ist übrigens das schon vorweg. Ich mache ja nicht nur Kriseneinsätze. Es gibt auch schon mal ganz nette Einsätze. Ich war zum Beispiel auch, dass jetzt aber nicht als nett zu verstehen, bei der Beerdigung unseres deutschen Papstes in Rom, weil dann ist einfach so viel Manpower vonnöten, weil wir da so viele Programme und Sendungen bestücken, dass man dann auch mal Verstärkungen hinschickt. Und da war ich zum Beispiel auch in Rom. Also es ist jetzt nicht immer Krieg und Krise, wohlgemerkt. Insofern muss ich mal abwarten. Das ist auch gut so. Meistens auf Zuruf. Ja, ist auch sehr gut.

Henning Schreiber: Vielen herzlichen Dank.

Luc Walpot: Sehr gerne

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