Verziehen habe ich längst, vergessen werde ich nie - Ivar Buterfas im Interview
Shownotes
Frieden beginnt bei mir - so lautet der Slogan der diesjährigen Jahreskampagne der Caritas. Der Slogan klingt so einfach und ist doch so kompliziert. Was ist, wenn man das Schlimmste erlebt, bzw. überlebt hat? Wie geht man damit um, wenn man wie Ivar Buterfas-Frankenthal den Holocaust überlebt hat?
„Verziehen habe ich längst, vergessen werde ich nie“, sagt Ivar Buterfas-Frankenthal rückblickend. Als Sohn eines jüdischen Vaters hat er den Holocaust überlebt und ist einer der Wenigen, der uns heute noch davon berichten kann. Ich habe ihn am Rande einer Veranstaltung in Troisdorf interviewen dürfen.
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“Tach auch, der Pottcast der Caritas Dortmund. Tach auch und herzlich willkommen zu einer neuen Podcast-Folge. Mein Name ist Henning Schreiber.
Frieden beginnt bei mir, so lautet der Slogan der diesjährigen Jahreskampagne der Caritas. Der Slogan klingt so einfach und ist doch so kompliziert. Was ist, wenn man das Schlimmste erlebt bzw.
überlebt hat? Wie geht man damit um, wenn man wie Ivar Buterfas-Frankenthal den Holocaust überlebt hat? Verziehen habe ich längst, vergessen werde ich nie, sagt Ivar Buterfas-Frankenthal rückblickend.
Als Sohn eines jüdischen Vaters hat er den Holocaust überlebt und ist einer der wenigen, der uns heute noch davon berichten kann. Ich habe ihn am Rande einer Veranstaltung in Trostorf interviewen dürfen.
Henning Schreiber: Sie sind ja 1933 geboren, also in dem Jahr, in dem auch die Nationalsozialisten die Macht ergriffen haben.
Ivar Buterfas-Frankenthal: 14 Tage später, nach meiner Geburt, am 16. Januar, bin ich jetzt 91 Jahre alt.
Henning Schreiber: Was war das Erste, an was Sie sich in dieser Zeit erinnern?
Ivar Buterfas-Frankenthal: Zu der Zeit noch gar nicht. Wenn Sie als Baby auf die Welt kommen, haben Sie noch keine Erinnerung. Das ging jetzt später los, als sie vier, fünf Jahre alt war, weil ich dann gefragt habe zu meiner Mutter, wo ist eigentlich Papa?
Papa, der ist auf Montage, der kommt lange, lange Zeit nicht wieder. Da war er schon in Esterwegen im Konzentrationslager. Da ist er nämlich schon gleich 1934 nach der Machtübernahme hingekommen, denn mein Vater war Jude und er war Kommunist.
Und das war für die Nazis zu viel. Die Nazis hatten sich vor der Machtübernahme riesige Listen gemacht, mit Tausenden von Leuten, die sie hinterher nach der Machtübernahme verhaften wollten, einen Kopf kürzer machen wollten, weil sie ihnen das Leben zur Hölle gemacht haben. Denn es waren ja nicht alle willige Werkzeuge für Adolf Hitler und seine verbrecherische Koalition.
Henning Schreiber: Und da stand dann ihr Vater auf der ersten Liste quasi gleich mit drauf?
Ivar Buterfas-Frankenthal: Der Sllererste. Ich stamme aus einer großen jüdischen Familie. Mein Vater war der jüdische Teil. Meine Großeltern väterlicherseits waren sehr, sehr reich, sehr vermögend. Die hatten eine Zigarrettenfabrik, die europaweit bekannt war. Und meine Mutter war da sogenannte arische Teil in der Familie. Die stammte aus einem sehr strengen christlichen Haushalt. Mein Großvater, väterlicherseits, der war in einer sehr hohen Position in der Hamburger Handelskammer. Und beide Großelternteile, väterlicher- und mütterlicherseits, hatten etwas gegen die Verbindung zwischen meinem Vater und meiner Mutter. Aus Gründen, die eigentlich jedem bekannt sein sollten.
Henning Schreiber: Und Ihre Mutter hatte zunächst gesagt, Ihr Vater wäre auf Montage, um die Kinder zu schützen.
Ivar Buterfas-Frankenthal: Genau das. Damit sie so wenig wussten wie möglich. Denn es war sehr gefährlich, wenn Kinder zu viel wussten, denn sie könnten es vielleicht auch möglicherweise an unpassender Stelle wieder ausplaudern.
Und das wollte meine Mutter natürlich verhindern. Ich habe mich natürlich gewundert, dass mein Vater in der ganzen Kriegszeit, das waren immerhin zwölf Jahre, von 1933 bis 1945, bis zum Zusammenbruch des Dritten Reiches, dass er nie zu Hause war. Später hat meine Mutter und auch mein Vater mir auch erklärt, warum.
Henning Schreiber: Also das heißt, wo Ihr Vater tatsächlich war, haben Sie wirklich erst nach dem Krieg begriffen?
Ivar Buterfas-Frankenthal: Genau. Er war erst in Esterwegen, vier Jahre als sogenannter Moorsoldat. Und von da aus kam er ins Stammlager nach Sachsenhausen. Und da ist er bis zum Kriegsende geblieben. Meine Mutter hatte die ganze Verantwortung für eine große Kinderschar. Denn wir waren immerhin acht Kinder. Das waren immerhin vier Jungs und vier Mädchen. Und für sie die Verantwortung zu tragen auf der Flucht, während der Verfolgung, das war unglaublich. Kann man sich gar nicht vorstellen. Wir haben gehungert und gefroren. Und nur durch reines Glück haben wir das Ende des Dritten Reiches erlebt. Am 8. Mai 1945. Da war das Dritte Reich Geschichte.
Henning Schreiber: Können Sie sich noch an den Moment als Kind erinnern, wo Sie gemerkt haben, hier stimmt was nicht, hier ist was anders?
Ivar Buterfas-Frankenthal: Ja natürlich. Das konnte ich ganz bestimmt. Denn meine Mutter wollte mich 1938 zur Schule schicken, das hat sich gut gemeint. Obwohl das schon Wahnsinn war. Es ist so, dass meine Geschwister alle schon von der Schule geflogen waren. Und trotzdem hat meine Mutter den Mut gefasst und hat mich noch eingeschult. So kam ich mit sechs Jahren in die erste Klasse und hatte ein Erlebnis, das mir bis heute schlaflose Nächte bereitet und immer wieder Albträume. Ich wache nachts auf und habe immer die gleichen Visionen. Das ist also furchtbar. Ich war 1938 auf der Schule. Ich war sechs Jahre alt, ein kleiner Dreikäsehoch, wog vielleicht 30 Kilo und dann hatten wir auf dem Schulhof jeden Morgen ein bestimmtes Ritual. Wir mussten alle Mann antreten, 700 Schülerinnen und Schüler, große und kleine.”
“Die großen Jungs und die Mädchen standen sich aufgereiht gegenüber. Die Mädchen hatten weiße Blusen mit braunen Lederknoten. Das waren die sogenannten BDM-Mädchen, Bund deutscher Mädchen.
Dafür gab es schon eine Einrichtung von den Nazis. Und die Jungs standen auf der anderen Seite, hatten eine HJ-Uniform an, die wir ihnen nachher zeigen auf Bildern. Das waren die sogenannten Hitlerjungen.
Na ja, und wir hatten immer ein- und dasselbe Ritual. Es war in der Mitte auf dem Schulhof ein Fahnenmast, an dem hing die Hakenkreuzflagge, die wurde hochgezogen und dann wurden Nazi-Lieder gesungen. Und dann gingen wir zum Unterricht in die Klassen.
Na ja, aber hier war es anders. Auf der Freitreppe stand der Schulleiter in seiner ganzen strahlenden Nazi-Uniform. Der sah aus wie ein Weihnachtsbaum mit dem ganzen Lametta. Und er rief auf einmal meinen Namen, ich möchte doch mal hervortreten. Das habe ich dann auch gemacht. Und als ich hervorgetreten war, dann rief er ganz laut, dass es jeder hören konnte.
Unmissverständlich: „Hör mal zu, du kleiner Judenlümmel, du schnappst dir deine Klamotten und verschwindest so schnell wie du kannst, bevor wir dir die Ohren langziehen. Du bist Jude, du hast hier nichts zu suchen und du wirst auf keinen Fall noch länger mit deinem jüdischen Pesthauch, mit deinem Arten unsere schöne arische Luft verpesten.“
Verschwinde. Ich wusste überhaupt nicht, was mir geschah, denn ich war sechs Jahre alt. Ich wusste noch nicht einmal, was ein Jude war, eine ansteckende Krankheit oder sonst was.
Ich hatte keine Ahnung. Ich habe nur gemerkt, wie plötzlich die Kinder nach mir traten, nach mir spuckten, nach mir schrien. Und ich sollte ja verschwinden.
Und das tat ich auch. Ich heulte wie ein Schlosshund und lief vom Schulhof. Und ich kam aber nicht weit. Dann hatten mich die Hitler-Jungs eingeholt, die 12- und 14-jährigen, hielten mich fest. Einer zog mir die kurze Hose runter, brannte mir ein Loch in den Oberschenkel und dann nahmen sie mich in den Schwitzkasten, schleppten mich zu einer Kasematte. Da nahmen sie die Roste hoch, füllten die Kasematte auf mit Papier, legten dann wieder die Roste in den Rahmen und steckten das Papier an.
Ein Schüler aus einer Schule in Hamburg hat das gemalt. Sie sehen mich hier in der Mitte mit dem Mund offen. Das erinnert an das Bild von dem Herrn Monk, dem Norweger, der Schrei, ein weltberühmtes Gemälde.
Hier sehen sie auch verschiedene Gesichter von Mädchen und Jungen. Und in der Mitte stehe ich und das Feuer kroch an meinem Körper hoch. Ich habe geschrien wie am Spieß, das haben Passanten gehört und haben mich dann aus der misslichen Lage befreit.
Das war mein schulisches Erlebnis. Ich habe zu meiner Mutter gesagt, das kommt nicht infrage, Mama. Ich kenne diejenigen, die mir das angetan haben.
Wir gehen jetzt sofort zur Polizei und wir zeigen die an. Da hat meine Mutter gesagt, wenn wir das tun, kann es uns passieren, dass sie uns totschlagen und wir gar nicht aus dem Revier zurückkommen. Denn die Polizei war zu der Zeit das Schlimmste, was es auf der ganzen Welt gab.
Ich nenne nur einen Begriff: Gestapo, geheime Staatspolizei. Wer diesen Halunken in die Hände fiel, der war so gut wie tot. Heute hat sich das geändert.
Wir haben durch das Grundgesetz die Polizei neu vereidigt. Und zwar auf das Grundgesetz. Und das ist etwas ganz anderes gewesen als 1933.
Denn da wurde die gesamte Polizei, die aus der Weimarer Republik kam, auf Adolf Hitler vereidigt. Und dann brannte der Reichstag ab. Den hatte ein holländischer Kommunist angeblich angesteckt, der van der Lubbe. Und da erließ Adolf Hitler das sogenannte Reichstagsbrandgesetz. Und damit war jedes Recht und jede Ordnung außer Kraft gesetzt. Verantwortlich dafür war damals Hermann Göring.
Hermann Göring war ein Kampfflieger aus dem Ersten Weltkrieg und stellvertretender Führer damals. Das wurde dann später Rudolf Heß, aber erst war es der Hermann Göring. Und der wurde beauftragt, die vielen Sonderkommandos in der Polizei zu gründen, die zur größten Mörderbande in der Welt wurden.
Das ist unglaublich, was sich die Polizei damals alles erlaubt hat. Zum Beispiel behinderte Kinder aufzuspüren, die die kleinste Behinderung haben, die wurden umgebracht. Oder aber sie holten sie aus den Gartenlauben oder aus den Kellerverstecken.
Dann haben sich die Polizisten freiwillig zu Massenerschießungen in Babyn Jar gemeldet. Sie sagten dann, heute werden wir Juden erschießen, du kannst dir einen aussuchen, wen du möchtest. Es war also eine grausame Zeit.
Das alles ist heute nicht mehr der Fall. Die Polizei hat ein Programm aufgelegt, was einzigartig ist. Denn wir haben sehr viel Unruhe, wie der auf Deutschlands Straßen.
Und zum ersten Mal seit 14 Tagen etwa erhebt sich das deutsche Volk an allen Ecken und Kanten und sagt, es ist genug mit der Scheiß-AfD. Wir haben die Schnauze voll. Wir wollen diese Halunken nicht haben mit rechten Gedanken.
Gut, unsere Demokratie ist viel zu schade, als dass sie solchen Leuten noch einmal vor die Füße geworfen werden darf. Wir wollen Frieden haben mit den Völkern der Welt. Unsere Kinder sollen in Frieden aufwachsen, sollen sich ihre Existenzen gründen und auch dafür sorgen, dass ihre Kinder in dieser wunderbaren Republik leben.
Denn sie dürfen eins nicht vergessen, am 8. Mai 2045 feiert Deutschland etwas, worüber die ganze Welt reden wird, nämlich 100 Jahre deutschen Frieden. Das muss man sich mal vorstellen, wo man innerhalb von 30 Jahren mit Frankreich zwei Kriege hatte, 1918 und dann 1939 bis 1945.
Henning Schreiber: “Als sie dann damals von der Schule nach Hause gekommen sind und dann auch gemerkt haben, dass sie sich noch nicht mal verteidigen konnten in dem Sinne, da ist doch dann wenig später auch noch was passiert, dass sie ja auch ihre Wohnung verlassen mussten. Sie wohnten in ein sogenanntes Judenhaus, glaube ich.
Ivar Buterfas-Frankenthal: Das mussten wir sofort schon 1934. 1934 ging es schon los mit den Juden. Auch mit den Halbjuden.
Sie wurden überall aus dem Staatsdienst entlassen. Es gab keinen Staatsanwalt, keinen Richter mehr, der noch an einem Gericht war mit jüdischen Wurzeln. In den Krankenhäusern kein Arzt, keine Krankenschwester. Bei der Post kein Postbote. Niemand, der jüdische Wurzeln hatte, durfte wieder arbeiten. Sie waren auf einem Schlag alle erwerbslos. Juden mussten ihre großen Wohnungen verlassen, freimachen und kamen in ein Judenhaus. Deportiert wurde zu der Zeit noch niemand. Das ging erst später los, nachdem man festgestellt hatte, wir werden die Juden nicht los.
Wir müssen sie entsorgen. Diese Untermenschen, wie man sie bezeichnet hat, sind es nicht wert, mit uns zu leben. Und so kamen wir auch in ein Judenhaus.
Das ist schrecklich, was kann man gar nicht sagen, kein Wasser, keine Toiletten, kein elektrisches Licht, Klo im Garten, furchtbar. So haben meine acht Geschwister und ich die erste Zeit dort gelebt. Und dann mussten wir auch aus diesem Judenhaus auch raus, weil in unmittelbarer Nähe eine Luftmine gefallen war. Denn die Engländer haben sofort Maß genommen auf die Deutschen. Na ja und dann wohin? Meine Mutter hat gesagt, für uns wird es jetzt hier unruhig.
Das war das Jahr 1942. Wir hauten ab aus Deutschland. Wir versuchen erst mal in Polen im Osten, in der Nähe Schlesiens oder so, am sichersten zu sein.
Da fallen wir nicht auf und da kennt man uns nicht. Und da können wir uns was einfallen lassen, was wir den Nazis erzählen, wenn sie unser mal habhaft werden sollten. Immer wenn eine Streife kam und uns kontrollierte, dann hat sie gesagt, wenn sie gefragt wurde, wo wollen sie denn hin, wer sind sie denn?
Ja, wir sind eine Hamburger Familie und zum zweiten Mal durch die Scheiß-Engländer ausgebombt. Wir haben alles verloren. Wir haben nur noch das, was wir am Körper tragen.
Nichts mehr haben wir bei uns. Wir wollen jetzt nur noch ein bisschen Ruhe haben und Frieden haben und endlich mal ein paar Nächte schlafen können. Ja, das ist eine gute Idee. Dann kommen Sie mal mit. Dann haben Sie uns teilweise noch 100 Kilometer mehr mitgenommen. Und so kamen wir dann über Danpzig, kamen wir dann in die Tucheler Heide nach Konitz.
Und dort haben wir uns dann in einem Gutshof, da konnten wir uns einnisten, das will ich mal so sagen, und haben in einer Scheune geschlafen und übernachtet und uns dort eingerichtet. Und dort haben wir ungefähr ein Jahr zugebracht. Und dann haben sie uns aber aufgestöbert.
Und dann sollten wir ins Konzentrationslager. Aber meine Mutter hat den Braten gerochen und ist dann ganz schnell mit uns wieder in Richtung Hamburg geflüchtet. Und in Hamburg brach das Inferno los. Hamburg hatte die schlimmsten Bombenangriffe aus ganz Deutschland damals zu erleben, unter dem Decknamen Gomorra, kamen 1000 englische Superfestungen nachts und haben Hamburg in Schutt und Asche gelegen. Wir haben in einer Nacht 375.000 Wohnungen verloren.
Viele Kirchen, Krankenhäuser, Schulen und so weiter sind alle plattgemacht worden. Es war furchtbar. Manche Straßen wurden von beiden Seiten zugemauert.
Dort konnten die Menschen also nicht mehr reingehen. Denn diese Stadtteile Hammerbrook und Rotenburgsort, die waren im Epizentrum der Bombenangriffe. Da lagen über 30.000 Tote.
Und die konnte kein Mensch mehr bergen, selbst die Zwangsarbeiter nicht und auch die KZ-Häftlinge nicht. Und deswegen wurden sie eingemauert und blieben dort liegen. Es war eine schreckliche Zeit, aber wir haben diese Zeit genutzt.
Wir haben uns dann anschließend in Kellern versteckt und abgewartet, bis der 3. Mai 1945 kam und Hamburg sich zur offenen Stadt erklärte. Und der Krieg war für Hamburg zu Ende.
Das war ja natürlich dann auch doppelt gefährlich, weil man auf der einen Seite, man hatte immer die angstvolle Deportation und auf der anderen Seite, sie durften sich ja zum Beispiel bei den Angriffen ja auch nicht in Luftschutzkeilern verstecken.
Wir wurden auch nicht ärztlich versorgt, rein mit gar nichts. Es war so, dass mein Bruder Rolf und ich, das war der Drittälteste von den Jungs, wir haben uns nachts aus dem Kellerloch, in dem wir uns versteckt hatten, wir sind fünfmal umgezogen, wir haben uns immer wieder einen neuen Keller gesucht, um nicht aufzufallen. Wir sind dann aus dem Kellerloch gekrabbelt und sind dann losgegangen in die Gegend, wo die Nazis ihre großen Villen hatten, diese reichen Schweinehunde.
Und dort haben wir die Keller durchstöbert. Alles mitgenommen, was man brauchen konnte. Vor allen Dingen Konserven, Textilien und Handgranaten, Waffen.
Und das war uns klar, das war eine hoffnungslose Zeit, dass wir gesagt haben, wenn die Gestapo hier reinkommt und sie uns abholen, dann jagen wir uns mit den Schweinehunden zusammen in die Luft und dann zünden wir die Handgranaten, die sollen uns nicht lebend in irgendein Konzentrationslager verschleppen.
Henning Schreiber: Und was ja glaube ich auch noch hinzukam, ab 1942 galten sie auch als staatenlos, das heißt ja eine Flucht woanders hin wäre ja auch unmöglich gewesen.
Ivar Buterfas-Frankenthal: Ausgeschlossen. Das war eine sehr schlimme Geschichte. Die habe ich auch meinem Vater eigentlich ein bisschen übel genommen.
Er hat das Konzentrationslager lebend überstanden, war natürlich gebrochen, das ist ganz klar. Was man da erlebt hatte, kann man gar nicht beschreiben. Aber er hat nach vier Wochen zu meiner Mutter gesagt, wir können nicht mehr zusammenleben, die Familie ist zu groß, das ertrage ich nicht, wir müssen uns scheiden lassen.
Ich habe natürlich gehofft, dass ich meine deutsche Staatsbürgerschaft wieder bekomme, denn wir sind 1942 nach der Wannsee-Konferenz, wo auch die Endlösung der Judenfrage mit 12 Millionen in Europa beschlossen wurde. Ich habe gehofft, dass mein Vater wenigstens dafür sorgt, als Wiedergutmachung, dass ich so schnell wie möglich meine deutsche Staatsbürgerschaft wieder bekomme. Denn staatenlos zu sein, heißt heute noch, ein unwertes Leben zu sein.”
Man nimmt sich am besten das Leben, das hatte ich auch mehrere Male vor. Es war schrecklich, die Demütigungen, die man erleben musste, auch hinterher noch, als die Bundesrepublik längst gegründet war. Und derselbe Schweinehund, der uns damals die deutsche Staatsbürgerschaft mit den Papieren abgenommen hatte, den hatte ich dann 1951 nochmal besucht.
Als der mich gesehen hatte, war er völlig erstaunt, was wir noch leben. Sie sind nicht in die Gaskammer gekommen, haben sie ja Glück gehabt. Sagen sie, warum sind sie eigentlich noch in diesem Land?
Sie sollten doch verschwinden. Sie mögen uns doch sowieso nicht. Eine solche große Schnauze hatte dieser Nazi nach dem Kriegsende.
Das muss man sich vorstellen. 20 Jahre lang bin ich damit rumgelaufen als Staatenloser. Und unsere beiden Kinder sind sogar noch als Staatenlose in diesem Lande geboren.
Henning Schreiber: Man muss jetzt zum Verständnis dazu sagen, Sie haben den Nazi nicht privat besucht, sondern der war wieder an der gleichen Stelle im gleichen Amt.
Ivar-Buterfas-Frankenthal: Ich habe den selben Job wieder bekommen und habe dann auch versucht. Ich bin sehr bekannt geworden durch meine Arbeit mit St. Nicolai, eine absolute Person der Öffentlichkeit. Das ist schrecklich.
Ich habe heute noch jeden Tag zwei bis drei Interviewanfragen. Bei mir war vorige Woche ein koreanisches Fernsehteam. Dann war bei mir de la Figaro Paris, also alle New York Times, die größten Zeitungen und Fernsehgesellschaften klopfen bei mir an.
Das ist natürlich auch sehr anstrengend.
Henning Schreiber: Eine abschließende Frage hätte ich noch. Unser Jahresmotto heißt ja, Frieden beginnt bei mir. Das würde mich interessieren. Nach all dem, was Sie erlebt haben, dass Sie dann in Deutschland geblieben sind, da muss man doch den Frieden mit sich und auch mit den Menschen um sich herum finden.
Ivar Buterfas-Frankenthal: Ja, natürlich. Zu Kindern hatte ich keinen Kontakt mehr. Ich habe auch sehr schnell Hamburg verlassen, denn es war so unruhig in unserer Familie.
Es gab nichts zu essen. Wir hatten kein Einkommen. Meine Mutter war überhaupt nicht in der Lage, mit Behörden zu verhandeln.
Das waren zu schlimme Erinnerungen an die Gespräche mit der Gestapo. Und so bin ich sehr früh nach Dortmund gegangen und habe da gearbeitet auf den Wochenmärkten. Ich habe auch ein bisschen geholfen beim Aufbau der Reinoldikirche.
Die war ja in Trümmern. Das war damals eine tolle Sache. Und dann habe ich fünf Jahre im Kohlenpott gelebt und habe dann irgendwann meine Frau kennengelernt und wurde dann zum zweiten Mal Deutscher. Einmal von Geburt und einmal nach der Wiedereinbürgerung.
Henning Schreiber: Das heißt, Sie haben schon Ihren Frieden, wenn man das so sagen kann, auch wieder mit Deutschland gefunden?
Ivar Buterfas-Frankenthal: Aber selbstverständlich. Mit Hass kann man nicht weiterleben. Das ist unmöglich. Eines nicht vergessen, für mich war ganz klar. Verzeihen oder Verziehen habe ich längst. Vergessen werde ich nie.
Und was wichtig ist für uns alle, wir müssen daran arbeiten, dass diese Demokratie nie wieder in falsche Hände gerät. Und wenn ich die Leute mit ihren Ideen von der AfD höre, dann kriege ich das kalte Kotzen. Diese Leute mit ihren Ansichten haben in diesem Lande nichts zu suchen.
Entweder sie benehmen sich so, wie sich zivilisierte Demokraten zu benehmen haben, oder sie müssten aus Deutschland raus. Sie müssten dann dahin, was sie vor haben in Geheimsitzungen, nämlich Menschen, auch mit eingebürgertem Status, aus Deutschland abzuschieben. Dann müssten wir diese Idioten auf die Insel Madagaskar schicken, was sie damals mit den Juden vorhaben. Das ist mein Credo.
Vielen Dank nochmal an Ivar Buterfas-Frankenthal für das Interview. Er stellt eindrucksvoll unter Beweis, dass es die Möglichkeit gibt, Frieden zu finden. Mit sich, mit anderen, auch wenn man das Schlimmste erlebt hat.
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